DER NEUE STAR
Hanna saß mit ihrem Laptop auf dem Bett und surfte auf der Website ihrer
Lieblingsjugendzeitschrift herum. Plötzlich sah sie die Schlagzeile „Darsteller gesucht“ und
klickte neugierig auf den Link. Hanna dachte spontan an die Fotoromane in einer Zeitschrift,
die sie normalerweise nicht las, und konnte sich nicht vorstellen, in Unterwäsche für Fotos zu
posieren. Es interessierte sie aber, ob man bestimmte Voraussetzungen erfüllen musste, wenn
man sich als Darsteller bewerben wollte.
Es zeigte sich, dass die Filmgesellschaft MBZ-Film beabsichtigte, ein Buch zu verfilmen, und
deshalb in verschiedenen Städten Deutschlands Castingtermine veranstaltete. Mit
der Einladung zum Casting für einen neuen Kinderfilm wollte sie möglichst viele Jugendliche
erreichen. So eine Gelegenheit, einfach so ins Filmgeschäft einzusteigen, gibt es nicht oft, denn
meistens muss man viele Voraussetzungen erfüllen: Man muss einen Agenten haben, denn bei
den meisten Projekten läuft alles über eine Castingagentur, die in der eigenen Kartei nach
geeigneten Kandidaten sucht. Von Bewerbern verlangt man meistens schauspielerische
Erfahrung. Hannas Herz begann schneller zu schlagen, denn davon stand da kein Wort. Wenn
sich also tatsächlich jeder bewerben durfte, warum sollte sie es nicht versuchen?
Die Bedingungen für die Bewerber konnte sie erfüllen: Fließendes Deutsch, Spaß an
der Schauspielerei, Zeit in den Sommerferien und einen Elternteil, der sie während
der Dreharbeiten begleitete. Doch ein Blick auf die Liste mit den Castingterminen enttäuschte
sie. Blöd, dass es keinen Termin in der Nähe gab: So viel Fahrerei würden ihre Eltern nicht
machen und allein würden sie sie so weit nicht fahren lassen. Doch ein Eintrag tauchte noch am
Ende der Liste auf: Dortmund! Erleichtert atmete sie auf, denn das war ganz in der Nähe.
Den Laptop in der Hand, lief sie in die Küche, zeigte ihren Eltern den Castingaufruf und erzählte
über den Inhalt der Seite. „Darf ich hin?“, fragte sie. „Bitte!“
„Ich glaube nicht, dass es sich lohnt“, sagte Hannas Mutter skeptisch. „Das läuft doch alles über
Agenturen, und so ohne schauspielerische Erfahrung hast du da keine Chance.“
„Nehmen wir an, du kriegst eine Rolle“, sagte der Vater. „Wie soll das dann mit der Schule
klappen?“
„Deshalb drehen sie doch in den Ferien! Und selbst wenn die Dreharbeiten länger dauern
würden – ich bin doch eine gute Schülerin, und wenn ich ein paar Tage in der Schule fehlen
würde, würde ich das nacharbeiten“, argumentierte Hanna.
Die Eltern verständigten sich mit Blicken. „Also gut!“, entschied Hannas Mutter. „Du darfst
zum Casting gehen. Aber nur, wenn du mir versprichst, dass du dir keine großen Hoffnungen
machst und dass du nicht total zerstört bist, wenn es nichts wird.“ Hanna umarmte ihre Mutter
zum Dank dafür, dass sie ihr erlaubte, beim Casting mitzumachen, und versprach ihrem Vater,
auf keinen Fall irgendwelche Entscheidungen zu treffen, ohne vorher mit ihm zu sprechen.
Hanna lief in ihr Zimmer und füllte das Formular aus. Sie trug ihren Namen, ihr Geburtsdatum,
ein paar Angaben zu ihrem Äußeren und zu ihren Interessen ein. In ihren Träumen sah sie sich
schon in der Hauptrolle.
nach: René Bote, „Der neue Star“