JULIA
„Moment mal, junger Mann!“, hörte ich meinen Vater rufen, gerade als ich leise aus dem Haus
gehen wollte.
„Ja?“, fragte ich. Dabei versuchte ich, nicht allzu genervt zu klingen, was mir anscheinend nicht
so gut gelang, denn mein Vater hatte wieder diesen Blick, der mir sagen sollte, dass ich es
eindeutig zu weit trieb.
„Daniel, es ist erst Mittagszeit. Du willst doch wohl nicht jetzt schon rausgehen?“ fragte er.
„Ich bin aber verabredet. Ich bin schon zu spät dran.“ Ja gut. Ich hatte zweimal geduscht, mich
mehrmals umgezogen und das alles nur, weil ich anfangs zu viel von meinem Parfüm
aufgetragen hatte.
Du kannst nicht ständig bei unseren Nachbarn sitzen. Thomas und Anna haben genug zu tun,
da müssen sie nicht auch noch auf dich aufpassen. Und sie fahren doch heute weg.“ Er klang
dabei wie üblich recht belehrend, was ich nicht kommentieren wollte, aber es flog einfach aus
meinem Mund heraus, ehe ich darüber nachdenken konnte: „Sie müssen nicht auf mich
aufpassen, ich will ja zu Julia. Die Blumen, Papa! Sie brauchen Wasser, sonst verwelken sie
gleich ganz. Das wäre kein gutes Geschenk für Julia.“ Musste er mich aufhalten? Hatte er
nichts zu tun?
„Schatz! Lass den Jungen doch endlich gehen und hilf mir in der Küche!“ Ein Glück, dass
meine Mutter es schaffte, meinen Vater dazu zu bewegen, sich endlich von mir zu entfernen.
Mit den Blumen in der Hand schaffte ich es endlich bis in den Garten. Vorbei am Gartenteich
und über die Wiese, dann kletterte ich über das Gartentor. Es war nicht hoch und diente eher
der Dekoration. Ich sah hinauf zu Julias Fenster, das geschlossen war. Für einen kurzen
Moment musste ich meine Augen schließen. Denn heute Nacht ist es endlich soweit. Sie würde
mit mir und ihren besten Freundinnen ihren sechzehnten Geburtstag feiern. Ich ging weiter bis
zur Terrassentür und wagte einen Blick in die Küche hinein.
„Ah! Daniel!“ Herr Bolten sah mich sofort, obwohl er zuvor in eine Zeitung vertieft war.
„Hallo, Herr Bolten!“ Ich setzte ein kumpelhaftes Lächeln auf. Da ich weder Julia noch Frau
Bolten sah, fürchtete ich, dass er ein ernstes Gespräch beginnen wollte.
Bolten sah, fürchtete ich, dass er ein ernstes Gespräch beginnen wollte.
„Komm mal her, mein Freund“, sagte er in einem väterlichen, strengen Tonfall, der mich
zusammenschrecken ließ. Am liebsten wäre ich einfach an ihm vorbeigelaufen, durch die
Küche Richtung Flur und hinauf in Julias Zimmer. Aber ihr Vater glich einem Wachhund, der
mich nicht eher zu ihr lassen würde, bevor ich mir nicht nochmals seine Predigten angehört
hätte. Die kannte ich nur zu gut.
nach: Laura Sommer, Herzschlagmelodie