Der angesehene Kunstexperte Adrian Weynfeldt hatte von seinem alten Freund Klaus Baier den Auftrag bekommen, ein wertvolles Gemälde des Schweizer Malers Félix Vallotton auf einer Auktion zu verkaufen.
Weynfeldt legte eine Scheibe Roastbeef auf ein Stück Toast und bestrich das Ganze gedankenverloren mit Remoulade. Er legte den angebissenen Toast auf den Teller zurück, stand auf und ging kauend zur Staffelei mit dem Vallotton. Er holte eine große Lupe und inspizierte die Bildoberfläche. Kaum ein Pinselstrich zu sehen. Vallotton hatte in dieser Technik mit möglichst großen Pinseln und möglichst homogenen Flächen gearbeitet. Adrian näherte seine Nase dem Bild. Es roch vertraut und kaum wahrnehmbar nach etwas Altem, nach Karton und dem Bindemittel, das der Maler verwendet hatte. Oben rechts war das Bild signiert: „F. Vallotton. 1900“. Weynfeldt kannte die Signatur. Und auch die kleine Manie des Malers, nach seinem Nachnamen einen Punkt zu setzen, war ihm vertraut. Er fand ein paar Feuchtigkeitsflecken, groß genug, dass sie auch in einer Reproduktion sichtbar sein müssten. Er griff nach Vallottons Werkverzeichnis und sah sich die Reproduktion des Gemäldes an. Die Feuchtigkeitsflecken waren da. In gleicher Anzahl, an gleicher Stelle. Alles stimmte, auch die Grundierung. Vallotton arbeitete immer mit grundiertem Zeichnungskarton.
Weynfeldt klappte das Buch zu, holte seinen Toast und konzentrierte sich wieder auf das Bild. Mit vollen Backen kauend suchte er es ab, er wusste nicht wonach. Er schob sich den letzten Bissen in den Mund und suchte weiter.
Der Punkt!
Mit drei Schritten war Weynfeldt beim Werkverzeichnis, leckte die Reste der Remoulade von den Fingern – etwas, was er nie tat, nie! –, rieb sie im Innern seiner Hosentasche trocken und blätterte, bis die Seite mit dem Bild wieder vor ihm lag. Er nahm die Lupe und vergrößerte die Signatur. „F. Vallotton 1900“. Ohne Punkt nach dem Nachnamen. Weynfeldt rahmte das Bild aus und entdeckte weitere Hinweise auf eine Fälschung. Der matte Glanz der Oberfläche stammte nicht von der Patina der Zeit, sondern von einem dünnen Film aus mattem Wachs. Das Original war seltsamerweise eine Spur frischer als die Kopie, der Fälscher hatte beim künstlichen Alterungsprozess wohl etwas zu viel des Guten getan. Aber die Fälschung sah aus wie der Klon des echten Werkes. Weynfeldt griff zum Telefon. „Und wenn ich es nicht gemerkt hätte?!“ Es war der erste Satz, den er an Baier richtete.
„Dann hätte es niemand gemerkt“, sagte Baier.
„Da täuschst du dich. Wenn ich es nicht gemerkt hätte, dann nur, weil ich nie auf die Idee gekommen wäre, dass du mir eine Fälschung unterjubeln würdest. Ich muss zugeben, dass der Fälscher hervorragende Arbeit geleistet hat. Warum wolltest du die Kopie versteigern lassen, statt sie zu behalten?“
Baiers Stimme klang weinerlich. „Der echte Vallotton ist für mich unbezahlbar. Ich will ihn nur für mich. Ich habe mit ihm mein ganzes Leben verbracht. Verlangst du von mir, dass ich mich für anderthalb Millionen davon trenne? Aber ich brauche Geld, sonst verbringe ich meinen Lebensabend als Sozialhilfeempfänger. Willst du das, Adrian?“
„Niemand will das. Aber ich glaube, der Vallotton bringt mehr als anderthalb. Einiges mehr.“ Ohne eine Spur von Weinerlichkeit sagte Baier: „Ich mach dir einen Vorschlag: Du lässt die Kopie versteigern, und alles, was über anderthalb hinausgeht, gehört dir. Überleg es dir.“
„Du dir auch“, antwortete Weynfeldt und legte auf.
Na podstawie: Martin Suter: Der letzte Weynfeldt